© Pjotr X

 

Für Kim war es ein Tempel, ein magischer Ort voller Schuhe, der Outlet-Store von Zalando  bei ihr um die  Ecke.
Sicher liebte Kim schicke Schuhe und ihr Schuhschrank hätte ein wenig größer sein können, aber seit einer Woche gab es einen weiteren Grund die Glücksoase heimzusuchen.
Dieser Grund hatte lange blonde Haare, blaue Augen und das wundervollste Lächeln der Welt, und hieß ‚Fr. Schmidt’, wie Kim mit einem verschämten Blick vom Namensschild der hübschen neuen Verkäuferin abgelesen hatte.

Seit längerem war Kim bewusst, dass sie sich für Frauen interessierte. Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich lesbisch war, traute sich aber auch nicht mit jemanden darüber zu sprechen. Nur wunderten sich viele, die sie kannten, dass sie seit längerem Single war. Das war nicht immer so gewesen, während der Schulzeit hatte sie erste Erfahrungen mit Jungen gesammelt und später war sie auch längere Zeit mit Partnern zusammen gewesen, aber irgendwie hatte sie sich nie wohl dabei gefühlt.

Von einem Outing war sie weit entfernt, sie traute sich nicht einmal es auszuprobieren. Aber nun fürchtete sie verliebt zu sein, in eine andere Frau. ‚Wie sie wohl mit Vornamen hieß?’, grübelte Kim in ihrem Kopfkino. Vielleicht Lena oder Lea oder Jessica.

In dieser Woche besuchte Kim den Laden täglich. Sie konnte sich einfach nicht für das passende Schuhpaar entscheiden. Ob es die auch in Schwarz gab? – Frau Schmidt hatte nie Zeit für Kim, die so viele Fragen hatte.
‚Ob ich den Schuhen ebenfalls gefalle?’, sinnierte Kim. ‚Mir gefallen sie gut, am liebsten würde ich sie küssen. Die Roten sehen bestimmt besser zu meinen braunen Haaren aus’, schwelgte sie in ihren Tagträumen. Behutsam befühlte sie die feine Lederhaut, sanft streichelte sie darüber, wobei sie vorsichtig die gewölbten Stellen knetete. Schuhkauf wollte überlegt sein. Da konnte soviel falsch gemacht werden. Es war schwer das perfekte Paar zu finden, mit dem man eins werden konnte. Sie rochen so gut, so verführerisch wie Parfüm.

Während Kim den Duft von der Innensohle einsog, erblickte sie durch die vordere Öffnung des roten Peeptoes  Frau Schmidt, auf die ein schuhkartongroßes Loch in der sie trennenden Regalwand die Sicht freigab.
‚Wie gut sie das macht’, dachte Kim, als sie die blonde Verkäuferin beim Anpassen eines Stiefelpaares bei einer älteren Dame beobachtete. ‚Ich will, dass sie das auch bei mir so macht, und noch viel mehr’, träumte Kim.

Sie senkte den Schuh herab, Frau Schmidt war verschwunden, sie holte wohl weitere Exemplare für die alte Dame. Mit der freien Hand rieb sich Kim kurz im Schritt. ‚Hoffentlich hat das keiner gesehen’, dachte sie, ‚aber ich liebe sie doch! – Welche denn nun? Die Roten, oder die Blauen, und wenn ich nur wüsste, ob es die in Schwarz gibt. Ich liebe sie alle. – Wenn mich nur Frau Schmidt beraten würde, wäre alles viel einfacher.’

‚Ich muss noch einmal daran riechen, bevor ich mich entscheide!’, erhob sie erneut ihr Periskop, um durch das Regal hindurchzuschauen, wo es diesmal nichts zu erspähen gab.
Kim dachte: ‚Wo bist du denn jetzt schon wieder, ich will…’
„Was kann ich für Sie tun?“ unterbrach eine Stimme hinter ihr.
„… ich will, dass wir ein Paar werden“, führte Kim ihren Gedanken laut zu Ende, bevor sie sich umdrehte und in das Gesicht ihrer Träume schaute. Da war sie endlich, und dann so eine Peinlichkeit.
„Ich will ein Paar Schuhe kaufen“, stammelte Kim leicht errötend. „Entschuldigung, ich war in Gedanken woanders“, stotterte sie weiter und dachte: ‚Was für ein hübsches Paar wir wären.’
Charmant, wie nur sie es konnte, lächelte die attraktive Blondine wohlwollend: „Macht nichts, ich habe im Moment auch Stress mit meinem Freund.“

Kim im Paradies

Zum Seitenanfang