© Pjotr X
Es war wie jeden Abend Zeit für die Gutenachtgeschichte. Das kaffeebraune Mädchen freute sich. Es verkroch sich unter seiner Bettdecke, wollte sich verstecken, aber mit Hilfe von Zottel dem Bären hatte Papi es schnell gefunden. Freudequiekend kuschelte sich Audrey darauf mit ihrem Lieblingsteddy in ihr Kissen und wartete auf ihre Geschichte.
Papa war wie immer den ganzen Tag fort gewesen, im Büro, wo auch immer das sein mochte. Aber nun war er für sie ganz alleine da, auch wenn es nur wenige Minuten waren.
„Es war einmal vor langer Zeit“, begann er zu erzählen von einer wunderschönen Prinzessin, die eine noch wunderhübschere Tochter hatte und in ein fernes Land ziehen musste, in dem böse Menschen verboten die Wahrheit zu sagen. Die Prinzessin wollte nur kurz in diesem gefährlichen Land bleiben und versprach schnell zurückzukehren, um den Prinzen zu heiraten. Aber schnell vergingen die Jahre und sie kam nie zurück.
„Währenddessen wurde ihre Tochter, die kleine Prinzessin, von jedem Tag hübscher und hübscher“, endete er schließlich.
Audrey war müde, es war spät, sie war fast schon eingeschlafen, aber noch nicht ganz: „Papa, sei nicht traurig, Mami geht es gut im Himmel“, sagte sie, bevor sie die Augen fest schloss und in Träumen versank.
Brian küsste das schlafende Kind. Nun brauchte er seine Tränen nicht länger zurückzuhalten.
Für Jessica war es der Job des Lebens gewesen. Direkt nach dem College kam das Angebot von CNN nach Afrika zu gehen, dorthin wo es brannte, aber auch dort, wo Journalistenkarrieren garantiert waren. Weil sie Afroamerikanerin war, war sie prädestiniert für den Auftrag. Dann kam die Schreckensmeldung von dem Terroranschlag.
Das war nun fünf Jahre her. Seitdem sorgte er alleine für Audrey, wobei kein Tag verging, an dem er nicht an ihre Mutter dachte.
Er hatte sich aus dem Leben zurückgezogen. Dadurch hatte er gewissermaßen Karriere gemacht. Während seine Kollegen aus dem Architekturbüro ihren Feierabend genossen, brütete er zu Hause am Computer über den Zeichnungen. Er wollte Audrey abends nicht alleine lassen, zumindest wissen, sie im Nebenzimmer in der Nähe zu haben, weil ihre Mami ja nicht da war. Dabei entwickelte er die besten Ideen, weshalb er als Genie seiner Firma galt.
Aber er galt auch als vereinsamter Eigenbrötler, obwohl er mit seinen dunklen Locken und seiner muskulösen Statur mit Mitte dreißig äußerst attraktiv wirkte, egal ob in Jeans oder im Anzug. Es war lange her, dass er ausgegangen war, geschweige denn außerberuflich mit einer Frau geflirtet hatte.
Zum Glück wohnte seine Mutter im gleichen Block, die tagsüber Audreys Leben managte.
„RingRingRing“, erklang die Türschelle, was Brian verärgerte, der eben sein neues Projekt auf dem PC geladen hatte.
‚Nicht noch einmal, sonst wird Audrey wach’, dachte er, als er zur Tür stolperte, um den Störenfried abzuwimmeln.
„Wer sind Sie denn?“, fragte die junge Frau, die wie Rihanna aussah.
„Das sollte ich Sie fragen?“
„Ich passe diese Woche auf Audrey auf. Die Großmutter hat mich über eine Agentur engagiert. Entschuldigung! Sie sind bestimmt der Vater. Ich hatte sie mir anders vorgestellt, nicht weiß.“
Brian schaute verdutzt in das hübsche Gesicht.
Sein mehr als attraktives Gegenüber wurde fast schüchtern, als sie den imposanten Manager genauer ansah. „Ich wollte eigentlich nur die Schuhe zurückgeben, die Audrey mir für mein Bewerbungsinterview geschenkt hat.“
„Was für Schuhe?“
„Diese, die Louboutin Sandals“, reichte sie Brian die Edelschuhe.
Dieser erschrak, schockiert und erbost zugleich, als er Jessicas Lieblingsschuhe sah. Ihm war klar, was abgelaufen war, aber seinem kleinen Engel konnte er nicht böse sein.
„Geben Sie her!“, erwiderte er barsch, sich zusammennehmend nicht aufzubrausen.
‚Und jetzt verschwinden Sie’, wollte er nachschieben, jedoch fragte er höflich: „Darf ich sie auf einen Cappuccino einladen?“